von Aconcagua » Mi Mai 20, 2015 12:08 pm
Burkhard Varnholt war die Aufmerksamkeit gewiss, als er am «FuW Fund Experts Forum » eine Verdoppelung oder gar Verdreifachung des SMI in den nächsten fünf Jahren in Aussicht stellte, sofern die Zinsen niedrig bleiben. Doch was würde eine solche Kursentwicklung für den bereits stolz bewerteten heimischen Aktienmarkt bedeuten? Da Schweizer Unternehmen rekordhohe Margen erwirtschaften, dürfte die weitere Gewinnentwicklung ungefähr dem Umsatzwachstum entsprechen, das vom Wirtschaftsverlauf vorgegeben wird. Rechnet man angesichts der verhaltenen Konjunkturaussichten und des geringen Inflationsdrucks mit einer jährlichen Gewinnzunahme von 5%, würde eine Verdreifachung des SMI das Kurs-Gewinn-Verhältnis von gegenwärtig 19,5 auf knapp 46 im Jahr 2020 katapultieren. Bei einer Verdoppelung betrüge das KGV 30,55 und entspräche exakt dem Wert, den der S&P 500 im März 2000 erreichte.
Die Stimmen, die von einer Blasenbildung an den Aktienmärkten ausgehen, mehren sich. Die Bewertungen seien zwar bereits hoch, könnten angesichts des herrschenden Anlagenotstands
aber noch einiges höher klettern, lautet der Tenor. Deshalb empfehlen die Experten, teilweise in Abkehr von ihrer Anlagephilosophie, an der Party teilzunehmen. So schreibt die Bank Reichmuth:
«Bislang rieten wir stets, solche Blasenbildungen nicht mitzumachen», doch diesmal seien die Alternativen extrem rar. In die gleiche Richtung stösst der Kommentar von Burkhard Varnholt, CIO bei
der Bank Julius Bär, der am FuW Fund Experts Forum mit der Aussage aufhorchen liess, der SMI könne sich in den nächsten fünf Jahren verdoppeln oder gar verdreifachen Am selben Anlass sagte Jim Rogers: «Normalerweise mache ich nicht mit, wenn sich eine Spekulationsblase bildet, aber in China möchte ich dies mal erleben» (vgl. fuw.ch/1605153). Die einhellige Meinung wirft mehrere
Fragen auf: Warum sind sich die Experten ihrer Sache so sicher, ist die Erwartung realistisch, und wann ist die Zeit reif, auszusteigen? Der Grund für die erwartete Blasenbildung ist schnell gefunden: «This time is different» – diesmal ist alles anders. Gemäss der Investorenlegende Sir John Templeton sind das zwar die teuersten Worte an der Börse, weil sie Investoren in überbewertete Anlagen treiben, die später
meist kollabieren. Doch der aktuelle Zyklus ist tatsächlich anders: Seit der Finanzkrise kommt die Konjunktur weltweit nicht richtig auf Touren. Aus diesem Grund besteht auch keine Inflationsgefahr – im Gegenteil: Die wichtigsten Zentralbanken versuchen verzweifelt, die Teuerung auf die von ihnen
definierten Inflationsziele anzuheben. Weil sowohl Wachstums als auch Inflationsraten unter strukturellem Gegenwind stehen, wird die Geldpolitik noch lange äusserst expansiv bleiben. Dieser
Befund gilt auch für die USNotenbank Fed, die zwar am lautesten über eine Zinserhöhung nachdenkt, sie aber immer wieder aufschiebt. Und wenn es eines Tages doch dazu kommen sollte, dürfte der Schritt eher symbolischer Natur sein. Kurz: An eine absehbare Normalisierung der Geldpolitik glaubt derzeit fast
niemand mehr. Somit dürfte sich der herrschende Anlagenotstand noch verschärfen. Das gilt umso mehr, «als sich die unseligen Negativzinsen noch nicht richtig bis zu den Anlegern durchgefressen haben
», wie die Bank Reichmuth schreibt. Profiteur der verzweifelten Suche nach Rendite sind auch Aktien. Im Vergleich zur mageren oder gar negativen Verzinsung von Staatsanleihen und Sparguthaben
wirken Dividendenrenditen von 2 bis 3% in der Tat attraktiv. Mit «Dividenden sind die neuen Zinsen» scheint sich an der Börse denn auch ein neuer Leitspruch zu verbreiten. Egal, ob dieser Vergleich statthaft
ist oder nicht: Aktien dürften in der Wahrnehmung der Investoren bis auf weiteres alternativlos bleiben.
Damit ist die Voraussetzung für die wichtigste Zutat einer Blasenbildung gegeben: die breite Partizipation der Privatanleger. Gemäss Jeremy Grantham, Mitgründer des Bostoner Vermögensverwalters GMO, «hat sich noch nie eine Blase in den USA entwickelt, in der Kleinanleger ihr Geld nicht in den Aktienmarkt warfen» Diese letzte Phase eines Bullenmarktes wird deshalb auch als Dienstmädchenhausse bezeichnet.
Gewisse Umfragen wie diejenige der US Privatanlegervereinigung AAII zeigen zwar eine erhöhte Aktienquote ihrer Mitglieder an. Auch die Aussagen von Fred Tomczyk in einem Interview mit dem TV Sender CNBC lassen auf eine gute Stimmung bei den Privatanlegern schliessen.Gemäss dem CEO des OnlineBrokers TD Ameritrade boomen bei den 6,5 Mio. Kontoinhabern die Spekulation auf Kredit und
die Zugriffe auf die TradingPlattform,während der Cashbestand niedrig sei. Wird hingegen auf den Zufluss in RetailAktienfonds abgestellt, präsentiert sich ein anderes Bild. Die gegenwärtige Nachfrage liegt weit unter dem Höchst aus dem Jahr 2000, als Kleinanleger in Aktien drängten. Den gleichen Schluss lässt der Vergleich des Geldmengenaggregats M2, das sich aus Bargeld sowie Sicht und Spareinlagen sammensetzt,
und der Marktkapitalisierung des S&P 500 zu. Weiterer Brennstoff für eine Aufwärtsbeschleunigung der
Kurse ist demnach vorhanden. Für Letzteres spricht auch die allgemeine Stimmungslage. «In den Bostoner Bars wird immer noch über Sport und nicht über Aktientipps gesprochen», sagt Grantham. Auch an Cocktailpartys sei das Thema noch nicht omnipräsent. Ins selbe Horn stösst Rogers, der erst nervös wird, «wenn sich die Zahnarztgehilfin nach chinesischen Aktien erkundigt». Dank des unabsehbaren Endes des Anlagenotstands und nach wie vor nicht allzu euphorischer Anleger steht einer Blasenbildung demnach nichts entgegen. Doch wann ist die Zeit reif, auszusteigen? Gemäss der herrschenden Meinung
droht den Aktienmärkten keine Gefahr, solange die Zinsen niedrig bleiben. Das ist zumindest die Lehre aus vergangenen Börsenzyklen, als die Baisse erst einsetzte, nachdem die Zentralbanken den Kampf gegen die Inflation aufgenommen und die Zinsen in den restriktiven Bereich angehoben hatten. Doch das muss nicht immer so sein. Der Markt kann einbrechen, «wenn die Preise einer Anlage genügend hoch steigen, auch wenn das Fed auf seiner Seite steht», gibt Grantham zu bedenken. Auch Rogers warnt, die Krise beginne nicht dort, wo alle hinschauen: «Der Auslöser kann ein marginales Ereignis sein.»
In der Tat ist bis heute unklar, was die Technologieblase im März 2000 zum Platzen brachte. Das Fed hob zwar ab Juni 1999 die Zinsen an, doch wirklich restriktiv – beispielsweise gemessen am nominalen Wirtschaftswachstum – war die Geldpolitik auch damals nicht. Einen Warnschuss feuerte in den letzten Wochen der Bondmarkt ab, der grundlos ins Straucheln geriet. So brach die zehnjährige deutsche Bundesanleihe in zwölf Handelstagen 6,5% ein – für den Obligationenmarkt ein mittleres Erdbeben, das auch Experten nicht zufriedenstellend erklären können. Die Turbulenzen zeigen, wie wenig es für eine Schubumkehr braucht, wenn die Bewertungen hoch und die Anleger zu einseitig positioniert sind.
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